Unbefristete Dienstleistungsverträge und Kündigungspflicht
Das Verwaltungsgericht (VG) Lüneburg hat sich mit Urteil vom 29.01.2025 (Az.: 6 A 55/24) mit der Frage befasst, ob ein langjähriger, unbefristeter Vertrag aufgelöst werden muss, wenn er ohne Vergabeverfahren geschlossen wurde.
In der Entscheidung stellte auf Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ab, der u. a. die Freiheit zur Berufsausübung und damit auch die sog. Wettbewerbsfreiheit, also die Garantie zur Teilhabe am Wettbewerb, schützt.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine gewerbliche Rettungsdienstleisterin. Mit ihrer Klage wendete sie sich erfolgreich gegen eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung über die Erbringung von Leistungen des Rettungsdienstes und des Krankentransports aus dem Jahr 1993 zwischen einem niedersächsischen Landkreis (Beklagter) und zwei gemeinnützigen Organisationen (Beigeladene). Die unbefristete Vereinbarung sah ein beiderseitiges Kündigungsrecht vor.
Im Jahr 2022 entstand beim Beklagten ein zusätzlicher Bedarf an Rettungsdienst- und Krankentransportleistungen. Statt ein förmliches Vergabeverfahren einzuleiten, erweiterte der Beklagte die bestehende Vereinbarung mit den Beigeladenen formlos per E-Mail-Korrespondenz.
Die Klägerin rügte dieses Vorgehen zunächst im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Das OLG Celle (Vergabesenat) sah sich jedoch als nicht zuständig an und verwies das Verfahren an das VG Lüneburg.
Entscheidung des VG Lüneburg
Das VG Lüneburg vertritt die Ansicht, dass die Klägerin einen Anspruch auf Kündigung der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen dem Landkreis und den Beigeladenen habe.
Das VG sah die Berufsfreiheit der Klägerin verletzt. Art. 12 Abs. 1 GG schütze zwar nicht den Erfolg im Wettbewerb und künftige Erwerbsmöglichkeiten, sie sichere aber die Teilhabe am Wettbewerb. Führe ein öffentlicher Auftraggeber (§ 99 GWB) trotz Vorliegen der vergaberechtlichen Voraussetzungen kein Vergabeverfahren durch, könne dies die wirtschaftlichen Interessen dritter, nicht berücksichtigter Marktteilnehmer verletzen. Dies wiege umso schwerer, wenn mittel- und langfristig keine neue Ausschreibung derselben Leistung zu erwarten ist.
Das VG sah hier einen dauerhaften Ausschluss der Klägerin von der Teilnahme am Wettbewerb als gegeben an: Die Beigeladenen wurden seit mehr als 30 Jahren ohne wettbewerbliche Vergabe beauftragt, die Vereinbarung war nicht befristet, und eine Kündigung zeichnete sich nicht ab.
Auch das Argument der Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes ließ das Gericht nicht gelten. Diese sei durch ein Vergabeverfahren nicht erkennbar gefährdet. So könne der öffentliche Auftraggeber Anforderungen an die Zuverlässigkeit, Fachkunde und Leistungsfähigkeit innerhalb des Vergabeverfahrens berücksichtigen.
Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des VG Lüneburg ist auch für andere öffentliche Stellen mit langfristigen Leistungsbeziehungen relevant.
Denn auch in anderen Wirtschaftsfeldern bestehen langfristige Vertragsverhältnisse zwischen öffentlichen Stellen und privaten Unternehmen, die bereits vor Jahrzehnten – teilweise noch vor der Einführung des europäischen Vergaberechts – auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurden.
Auch hier stellt sich die Frage, ob die öffentlichen Akteure rechtlich verpflichtet sein können, diese Verträge zu kündigen und die Leistung im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens neu auszuschreiben. Das VG Lüneburg liefert mit seiner Entscheidung Anlass solche Altverträge zu hinterfragen.
Die Entscheidung des VG Lüneburg ist noch nicht rechtskräftig; es hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
[GGSC] berät Kommunen und andere öffentliche Akteure zu Fragen des Vergaberechts und begleitet insbesondere öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger entlang des gesamten Ausschreibungsverfahrens.