Angebotswertung erfordert keine detaillierte Vergleichsanalyse
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Anforderungen an die Begründung und Transparenz der Angebotswertung in Vergabeverfahren weiter präzisiert. Die Entscheidung enthält wichtige Hinweise für die Praxis öffentlicher Auftraggeber und verdeutlicht, dass hier Gestaltungsspielräume bestehen (EuGH, Urteil v. 3.7.2025, RS. C-534/23).
Sachverhalt
Im konkreten Fall hatte der Auftraggeber Rahmenverträge für die Sprachausbildung für Organe, Einrichtungen und Agenturen der EU in acht Losen ausgeschrieben. Als Zuschlagskriterien wurden der Preis (30%) und die Qualität (70%) festgelegt. Die Qualität war wiederum in zwei Hauptkriterien und jeweils drei Unterkriterien unterteilt. Der Rahmenvertrag sollte mit den beiden bestplatzierten Bietern zu Stande kommen, wobei deren Rangfolge darüber entschied, welchem Bieter zuerst ein Angebot zum Abschluss eines Einzelvertrages unterbreitet würde.
Nach Auswertung der Angebote sollte ein Unternehmen in einem Los als zweitplatzierter Bieter neben bzw. „hinter“ dem erstplatzierten den Zuschlag erhalten (s.o.). Dieses Unternehmen wurde im Wege eines Benachrichtigungsschreibens über die erhaltene Punktzahl und seine Position als zweitbester Bieter informiert. Ein Anhang zu dem Schreiben enthielt in Form eines Bewertungsschemas die Gründe für die Bewertung des Angebots dieses Bieters. Auf Nachfrage wurden ihm auch Informationen über die Identität des erstplatzierten und ebenfalls für die Zuschlagserteilung vorgesehenen Bestbieters, die von diesem erreichte Gesamtpunktzahl und die erreichte Punktzahl in den einzelnen Unterkriterien sowie ein Bewertungsschema mit den Gründen für die Bewertung dieses Angebots bereitgestellt. Das Bewertungsschema enthielt die positiven und negativen Kommentare des Bewertungsgremiums zu jedem Haupt- und Unterkriterium.
Der zweitplatzierte Bieter reichte Klage ein und rügte u.a. einen Verstoß gegen Art. 167 Abs. 4 der Verordnung 2018/1046, da der Auftraggeber nur eine isolierte Bewertung jedes einzelnen Angebots vorgenommen habe, anstatt sie unmittelbar miteinander zu vergleichen.
Informationspflichten des Auftraggebers nach EU-Recht und GWB
Nach Art. 173 Abs. 3 Verordnung (EU, Euratom) 2024/2509 vom 23. September 2024 (damals Art. 170 Abs. 3 Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046) unterrichtet der öffentliche Auftraggeber auf schriftlichen Antrag jeden Bieter, der nicht abgelehnt wurde, über folgende Aspekte:
- den Namen des Bieters bzw. die Namen der Bieter, wenn es sich um einen Rahmenvertrag handelt, dem bzw. denen der Zuschlag für den Vertrag erteilt wurde, sowie — außer im Fall eines Einzelvertrags innerhalb eines Rahmenvertrags mit erneutem Aufruf zum Wettbewerb — die Merkmale und relativen Vorteile des erfolgreichen Angebots sowie die Gesamthöhe des finanziellen Angebots;
- die Fortschritte der Verhandlungen und des Dialogs mit den Bietern.
Insoweit konnte also auch ein für die Zuschlagserteilung infrage kommender Bieter (wie hier der Zweitbieter) die Abfassung der Information an ihn angreifen.
Auch nach dem nationalen Vergaberecht gelten bekanntlich für den Abschluss von Rahmenvereinbarungen Informations- und Wartepflichten. Nach § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB hat der Auftraggeber die nicht berücksichtigten Bieter über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren.
Im Zentrum der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 3. Juli 2025, verbundene Rs. C‑534/23 P und C‑539/23 P) stand insbesondere die Vorgehensweise bei der Wertung und der Umfang des Begründungserfordernisses gegenüber „unterlegenen“ Bietern. Hier sollte ja auch an den Zweitbieter ein Zuschlag erteilt werden, er sollte aber in der Reihenfolge erst nach der Abfrage des erstplatzierten Bieters berücksichtigt werden, s.o..
Die Anforderungen an die Begründung der Informationsschreiben sind durchaus vergleichbar.
Anforderungen an Informationsschreiben und Hinweise für die Praxis
Zwar ist der Umfang des Begründungserfordernisses nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Wie der Gerichtshof bereits in früheren Entscheidungen betont hat, kann vom öffentlichen Auftraggeber jedoch nicht verlangt werden, dass er dem (lt. § 134 GWB unterlegenen) Bieter neben den Gründen für die Ablehnung des Angebots eine detaillierte Zusammenfassung, in der jedes Detail seines Angebots im Hinblick auf dessen Bewertung berücksichtigt wurde, übermittelt.
Die Begründung des Auftraggebers muss so beschaffen sein, dass der betroffene Bieter die Überlegungen der Entscheidung des Auftraggebers nachvollziehen kann. Sofern Kriterien und Unterkriterien eine spezifische Gewichtung enthalten, ist diese dem Bieter bekanntzumachen. Die Begründungspflicht geht jedoch nicht so weit, dass jedem negativen oder positiven Kommentar in der Bewertung ein spezifisches Gewicht zuzumessen ist.
Die Entscheidung des EuGH betont einmal mehr den Sinn und Zweck der Informationspflichten des Auftraggebers. Es geht hier nicht um uferlose Transparenz, sondern Nachvollziehbarkeit der beabsichtigten Vergabeentscheidung. Der Bieter soll in die Lage versetzt werden, zu prüfen, ob der Auftraggeber die von ihm selbst festgelegten Kriterien beachtet hat. Insoweit hat der EuGH die Handhabung im entschiedenen Fall nicht beanstandet.
Anforderungen an Wertungsentscheidung und Begründung
Zudem ist der Auftraggeber schon bei der Wertung der Angebote nicht verpflichtet, eine detaillierte vergleichende Analyse des ausgewählten Angebots und des Angebots des abgelehnten Bieters bereitzustellen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 3. Mai 2018, C‑376/16 P EU:C:2018:299, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Gerade die fehlende vergleichende Wertung hatte der Zweitbieter hier beanstandet: Die Angebote seien nicht zueinander in Beziehung gesetzt worden. Nach Auffassung des Gerichts soll es dagegen offenbar ausreichen, wenn die Angebote jeweils anhand der in den Verdingungsunterlagen festgelegten Kriterien – und damit primär für sich betrachtet - bewertet werden. Durch die unterschiedliche Punktvergabe auf die beiden Bestangebote seien sie auch nach ihrem „relativen Wert“ bewertet worden.
Auch die Anforderungen an die Anwendung qualitativer Kriterien werden also in der Entscheidung nicht überstrapaziert.
[GGSC] berät bei öffentlichen Ausschreibungen, was Vorschläge und Hinweise sowohl zur Wertung als auch zur Information der Bieter einschließt.