Newsletter Vergabe Oktober 2021

[GGSC] obsiegt in zwei Nachprüfungsverfahren – offene Flanke Auskömmlichkeitsprüfung

Bekanntlich bleibt einem Bieter bei Mitteilung über die Nichtberücksichtigung seines Angebots kurz vor Zuschlagserteilung nicht mehr viel „Stoff“ für Rügen, um im Anschluss ein Nachprüfungsverfahren zu beantragen. Denn erkannte bzw. erkennbare Verstöße muss er nach Maßgabe von § 160 GWB meist schon vorher gerügt haben. So bleibt regelmäßig nur die Rüge einer vermeintlich oder tatsächlich unterlassenen Auskömmlichkeitsprüfung. 

Hierzu ist der Auftraggeber gem. § 60 VgV verpflichtet, wenn die sog. Aufgreifschwelle (in der Regel von 20 % Abstand) überschritten ist. Eine Auskömmlichkeitsprüfung ist durchzuführen, um die Angemessenheit von ungewöhnlich niedrigen Preisen zu bewerten. Auf Angebote mit solchen (nicht nachvollziehbar) niedrigen Preise darf kein Zuschlag erteilt werden. Auch wenn die Bedeutung dieser (dritten) Prüfungsstufe meist bekannt ist,  stellt der erforderliche Grad an Preisaufklärung im Rahmen der Auskömmlichkeitsprüfung den öffentlichen Auftraggeber häufig vor Herausforderungen. Dies verdeutlichen einerseits zwei Nachprüfungsverfahren, die [GGSC] vor der VK Berlin für seine Mandantschaft entscheiden konnte, andererseits eine weitere Entscheidung der VK Berlin in einer Bauvergabe.

VK Berlin schickt Auftraggeber zurück in die Prüfung und Wertung

[GGSC] hat einen Dienstleister für die Beförderungen von Schüler:innen und von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen in zwei Verfahren vor der VK Berlin vertreten. Aus dem Informationsschreiben nach § 134 GWB drängte sich jeweils auf, dass von der Vergabestelle eine Auskömmlichkeitsprüfung unterlassen worden sein könnte. Auf entsprechende Rügen wurde zudem offenbar, dass sich die Vergabestelle auf eine überholte Rechtsprechung berief und nicht die aktuelle BGH-Rechtsprechung zum Thema im Blick hatte. Mit der Akteneinsicht wurde dann bestätigt, dass eine solche Prüfung tatsächlich nicht stattgefunden hatte. 

Nachholung der Auskömmlichkeitsprüfung?

Zwar versuchte der Auftraggeber noch ihre Nachholung. Diese geriet jedoch so formelhaft, dass die Vergabekammer – neben anderen Gründen – Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Prüfung und Wertung äußerte. In beiden Fällen erklärte die Vergabestelle, erneut in die Prüfung und Wertung einzusteigen, und die Antragstellerin darauf die Angelegenheiten für erledigt. Die zu ihren Gunsten zu ergehenden Kostenentscheidungen werden in Kürze erwartet.

VK Berlin zu Bauvergabe: Nicht nur formelhafte Begründung bei der Auskömmlichkeitsprüfung

Weiter nahm die VK Berlin (Beschluss v. 13.07.2021, Az: VK B 2-12/21) jüngst ein Nachprüfungsverfahren im Bausektor zum Anlass, um klarzustellen, dass oberflächliche Begründungen oder die unkritische Übernahme von Erklärungen des Bieters keine ordnungsgemäße Auskömmlicheitsprüfung darstellen. Im konkreten Fall betraf das die Prüfung eines Nebenangebots. Für Hauptangebote dürfte dies gleichermaßen gelten.

Der Auftraggeber hat sich kritisch mit den Angebotspreisen auseinanderzusetzen. Die Auskömmlichkeits-Preisprüfung müsse laut VK Berlin darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage zu gewinnen, um die Angemessenheit eines Preises beurteilen zu können. Bedeutsame Einzelfallumstände seien dabei zu berücksichtigen. Dazu könne zusätzlich ein Abgleich mit den übrigen Angeboten oder mit der eigenen Auftragswertschätzung herangezogen werden. Letztere müsste allerdings selbst nachvollziehbar sein und auf hinreichender (Daten-) Grundlage basieren. Ein bloßer Verweis in der Vergabeakte, dass die Bieterangaben plausibel erscheinen, genüge jedenfalls nicht. Als Grenze der Aufklärung nennt die VK die Zumutbarkeit (was wiederum vom Einzelfall abhängt). Es ist stets darauf zu achten, dass die Prüfungsschritte umfassend in der Vergabeakte dokumentiert sind.

Die VK ruft daneben in Erinnerung, dass die Auskömmlichkeitsprüfung v.a. dazu dient, eine ordnungsgemäße Auftragsausführung sicherzustellen (z. B. weil das Unternehmen durch zu niedrige Preise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnte). Trotz dieser vornehmlich den Auftraggeber schützenden Vorschrift kann ein Mitbewerber/-bieter die Auskömmlichkeitsprüfung angreifen und ggf. vor den Nachprüfungsinstanzen nachprüfen lassen.

[GGSC] vertritt Beteiligte regelmäßig vor den Nachprüfungsinstanzen im gesamten Bundesgebiet.

Co-Autor: Rechtsanwalt Felix Brannaschk [GGSC]

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