Newsletter Vergabe Dezember 2025

EuGH-Entscheidung zu Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EU: Wann liegt eine vergaberelevante Änderung des Auftrags vor?

10.12.2025

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in einer aktuellen Entscheidung die Änderungen im Vergütungsmodell für einen Rahmenvertrag über Abschleppleistungen nicht als vergaberelevant eingeordnet. Konkret war das Gewicht zwischen fixen und variablen Preisen stark verändert worden – ohne größeren Änderungen im zu vergütenden Gesamtbetrag. Die Entscheidung gibt für Oberschwellenvergaben Anhaltspunkte für die Auslegung des § 132 GWB und die Frage nach einer ausschreibungspflichtigen Änderung des Auftrags.

Sachverhalt

Im Verfahren Polismyndigheten/Konkurrensverket (Urteil vom 16.10.2025 – C-282/24) befasste sich der EuGH mit der Frage, ob nachträgliche Änderungen der Preisstruktur einer von der schwedischen Polizeibehörde geschlossenen Rahmenvereinbarung über Abschleppleistungen eine vergaberelevante wesentliche Vertragsänderung darstellen. Ursprünglich hatten die Bieter einen Festpreis für Transporte innerhalb eines 10-Kilometer-Radius sowie einen Kilometerzuschlag für weiter entfernte Fahrten anzubieten. Während der Vertragslaufzeit passte die Polizeibehörde dieses Modell an, indem sie den Radius für den Festpreis erweiterte (und damit dessen Gewicht relevant erhöhte) und die Bedeutung der (variablen) Kilometerpreise deutlich reduziert. Zwar hat das nationale Gericht festgestellt, dass der finanzielle Umfang der Änderungen unterhalb den Bagatellgrenzen des Art. 72 Abs. 2 RL 2014/24/EU lag. Zugleich war jedoch für die Einschlägigkeit der (eine Änderung rechtfertigenden) Bagatellregel zu klären, ob die Anpassungen den Gesamtcharakter der Rahmenvereinbarung beeinflussen könnten. Nach Auffassung der Wettbewerbsbehörde lag eine wesentliche Änderung vor, die ein neues Vergabeverfahren erforderlich machte. Der EuGH kam dagegen zum Ergebnis, dass die nachträgliche Änderung auch ohne vorherige Ausschreibung vereinbart werden durfte. 

Entscheidung

Der Gerichtshof bestätigt in diesem Zusammenhang seine bisherige Rechtsprechung: Eine Änderung wirkt sich nur dann auf den Gesamtcharakter aus, wenn sie die Rahmenvereinbarung oder den Auftrag als Ganzes verändert – etwa durch eine grundlegende Änderung des Gegenstands (a), der Art (b) oder eine grundlegende Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts (c). Ist eine solche Änderung des Gesamtcharakters einschlägig, können noch nicht einmal die in § 132 GWB ausdrücklich genannten Ausnahmen vom Ausschreibungserfordernis für wesentliche Änderungen eine Zulässigkeit ohne vorherige, gesonderte Ausschreibung rechtfertigen. 

Vor diesem Hintergrund hat das Gericht die konkrete Modifikation des Vergütungsmodells, die – wie im Streitfall – lediglich geringe Auswirkungen auf den Gesamtwert des Auftrags hat, grundsätzlich als unkritisch eingeschätzt. Lt. EuGH stellt die zu beurteilende Änderung der Vergütungsmethode noch nicht einmal eine Änderung des Gesamtcharakters des konkreten Auftrags dar.

Fazit

Die Entscheidung enthält Anhaltspunkte für die Auslegung des § 132 GWB, der die korrespondierende nationale Regelung zu Art. 72 der Richtlinie darstellt. Danach sind in den dort genannten Ausnahmefällen auch vergabefreie Änderungen möglich. Jeweils darf aber der Gesamtcharakter des Auftrags nicht geändert werden, so z.B. in den Ausnahmeregelungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 GWB. Z.B. kann eine im Vertrag vorgesehene Überprüfungs- oder Optionsklausel die Änderung vergabefrei ermöglichen (Nr. 1). Dies soll auch für Änderungen gelten, wenn aufgrund unvorhersehbarer Umstände eine Änderung erforderlich wird (Nr. 3). Ähnlich dürfen nachträgliche Änderungen vergabefrei bleiben, falls sie unterhalb der Bagatellgrenze des § 132 Abs. 3 GWB bleiben. Für Dienstleistungen bedeutet dies, dass der Wert der Änderung unter 10 % des Auftragswerts und unterhalb der Schwelle für europaweite Vergaben (aktuell 215.000 € netto) liegen muss. Jeweils dürfen solche Änderungen aber nicht zu einer Änderung des Gesamtcharakters des Vertrages führen.

All diese Ausnahmen hätten im vorliegenden Fall aber theoretisch greifen können, selbst wenn die Änderung als wesentlich eingestuft worden wäre. Weil damit offenbar eine nur geringfügige Änderung des Gesamtauftragswerts verbunden war, prüfte das Gericht konkret im Wesentlichen primär die Bagatellklausel. Es ging aber nicht davon aus, dass sich die Änderungen als derart schwerwiegend darstellen, dass der Gesamtcharakter des Auftrags verändert wird.

Leider gibt der EuGH keine konkreten Kriterien vor, anhand derer künftig verlässlich beurteilt werden könnte, in welchen Fällen durch nachträgliche Modifikationen der Gesamtcharakter eines öffentlichen Auftrags geändert wird. Er stellt nur klar, dass dies jedenfalls dann der Fall sein soll, wenn die Änderung eine grundlegende Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts mit sich bringt. Davon ist er im zu entscheidenden Fall nicht ausgegangen, auch wenn er dies bei Preisänderungsmodellen mit geringeren finanziellen Auswirkungen durchaus für möglich hält. 

Zusammenfassend erfordert die Prüfung, ob mit nachträglichen Modifikationen eine zulässige oder unzulässige wesentliche Änderung verbunden ist, nach wie vor eine gründliche Einzelfallbewertung aller maßgeblichen Faktoren. [GGSC] kann hierzu konstruktive Hilfe leisten.

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