BGH-Begründung: Kundenanlage kann nur Energieanlage sein, die kein Verteilnetz ist
Nachdem der BGH bereits am 13.05.2025 wie erwartet entschieden hatte, sind nunmehr die mit Spannung erwarteten Gründe zur neuen Auslegung der Kundenanlage gemäß § 3 Nr. 24a EnWG im Lichte der EuGH-Entscheidung vom 28.11.2024 (vgl. [GGSC] März-Newsletter) veröffentlicht worden.
Wie zu befürchten war, bietet auch die Begründung der BGH-Entscheidung wenig Ansatzpunkte für einen relevanten Restanwendungsbereich nicht regulierter Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG.
Ausnahmen nur noch ausgehend vom EU-rechtlichen Verteilnetz-Begriff
Der BGH befasst sich gar nicht mehr näher mit dem in der Vergangenheit von ihm selbst konstruierten Begriff der Kundenanlage (vgl. BGH, Beschluss v. 13.05.2025, EnVR 83, 20, Rn. 14), sondern orientiert an der allein noch relevanten, in Art. 2 EltRL 2019 bzw. EltRL 2009 enthaltenen Definitionen eines Verteilnetzes.
Verteilung ist danach der Transport von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung über Verteilnetze zur Belieferung von Kunden (BGH, a. a. O., Rn. 17). Ausgenommen ist jedoch bereits von der Begriffsdefinition gemäß Art. 2 Nr. 28 EltRL 2019 (vgl. auch § 3 Nr. 37 EnWG) die Versorgung, d. h. der Verkauf von Elektrizität an Kunden, die Großhändler oder Endkunden von Elektrizität sind (Art. 2 Nr. 12 EltRL). Wegen der Umschreibung als „Ausnahme“ ist die Textstelle missverständlich. Der BGH grenzt hier offenbar die bloße Verteilung über ein Leitungssystem von der Versorgung ab, ein Begriff der aber mit Belieferung und Verkauf (s. dazu auch BGH a. a. O., Rn. 29) synonym verwendet wird.
Ausnahmen gemäß Richtlinie
Nach dieser Betrachtungsweise ergeben sich Ausnahmen folglich nur aufgrund der EU-Elektrizitätsrichtlinie. Damit vereinbare, richtlinienkonforme Ausnahmetatbestände sind zum einen das auch bereits EU-rechtlich vorgesehene geschlossene Verteilernetz (vgl. Art. 38 EltRL 2019 bzw. § 110 Abs. 2 EnWG) sowie Verteilnetze, die Bürgerenergiegemeinschaften gehören, von ihnen eingerichtet worden sind oder betrieben werden.
Eigenversorgung
Einen Anwendungsbereich, den der BGH ausdrücklich vom Begriff des Verteilernetzes ausnimmt und der dementsprechend an dem Begriff der Kundenanlage gemessen werden kann, sind „sämtliche Leitungssysteme, die der Weiterleitung von Elektrizität dienen und nicht zum Verkauf bestimmt sind“. Dazu führt der BGH beispielhaft ausdrücklich Energieanlagen an, die der Eigenversorgung der Betreiber dienen (vgl. BT-Drucks. 17/6072, S. 51). Darunter fallen also mit Erzeugungsanlagen verbundene Leitungssysteme, die beispielsweise von den Eigentümern einer Wohnungseigentumsanlage oder Grundstückseigentümern gemeinsam betrieben und genutzt werden.
Der Anwendungsbereich ist jedoch nicht so groß, wie es die BGH-Entscheidung suggeriert, weil gerade größere Anlagen häufig auch Mieter haben, so dass in den meisten zumindest größeren Konstellationen ein Verkauf jedenfalls generell nicht ausgeschlossen werden kann.
Keine Kundenanlagen gemäß BGH
Die in Anlehnung an den EuGH erwartungsgemäß sehr weite Fassung des Verteilnetzbegriffes führt konsequent angewendet dazu, dass im Versorgungsbereich im Prinzip alle Mehrfamilienhäuser und Gewerbeansiedlungen, die nicht (ausschließlich) Eigenverbrauch betreiben, in die Regulierung fallen. Im Erzeugungsbereich sind Parks mit gegenseitiger Versorgung sowie Direktversorgungskonzepte ebenfalls betroffen.
Es kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass einzelne Wohn- oder Gewerbegebäude, in denen Dienstleister oder Mieter Strom beziehen, erfasst werden.
Eine Ausnahme, zu der sich der BGH allerdings nicht explizit geäußert hat, ergibt sich möglicherweise bei einzelnen Versorgungsleitungen, weil diese jedenfalls per Definition kein Netz sind. Selbst wenn sich diese begriffliche Abgrenzung als belastbar erweist, ist aber unsicher, wie nach den gerichtlichen Auslegungen der Umstand zu bewerten ist, dass auch in diesen Konstellationen regelmäßig ein Verkauf an Direktvermarkter zumindest in Überschusssituationen erfolgt.
Folgen für die Regulierung
Die vorstehend grob skizzierten Regulierungsfolgen wären möglicherweise dann noch zu bewältigen, wenn man den Regulierungsmaßstab der Elektrizitätsrichtlinie zugrunde legt. Die dort normierten Anforderungen (diskriminierungsfreier Zugang, Effizienz, Transparenz, u. a., vgl. Art. 31 ff. EltRL) sind lästig und damit für den Transformationsprozess der Energiewirtschaft nicht förderlich, können aber wohl auch noch in kleinen Verteilnetzen i.S.d. EU-Rechts erfüllt werden.
Der BGH legt aber § 3 Nr. 24a EnWG dahingehend richtlinienkonform aus, dass hiervon nur Energieanlagen erfasst werden, die keine Verteilernetze sind. Damit öffnet er die Tür auch für die nationalen Regulierungsmaßnahmen (vgl. BGH a. a. O., Rn. 24).
Das bedeutet wiederum konsequent angewendet, dass grundsätzlich in allen oben grob angerissenen Konstellationen Messpunkte bereit gestellt werden müssen, sie der Festlegungs- und Genehmigungspflicht für Netzentgelte und Musterverträge unterliegen, an der Netzsteuerung teilnehmen müssen und nicht zuletzt der Genehmigungspflicht nach § 4 Abs. 1 EnWG unterfallen.
Diese Konsequenz erscheint im Ergebnis für die überwiegende Anzahl der betroffenen Fälle nicht trag- und damit umsetzbar. Allerdings ist der unerfüllbare nationale Regulierungsrahmen gleichzeitig auch ein Anknüpfungspunkt, mit dem der nationale Gesetzgeber - mit dem EU-Recht vereinbar - Abhilfe schaffen kann. Mit entsprechender Auslegung lässt sich diese Rechtsposition auch de lege lata bereits gut vertreten. Die Entscheidungsbegründung des BGH war hierfür allerdings wenig förderlich.
Fazit
Eine konsequente Anwendung des BGH-Beschlusses würde dazu führen, dass mutmaßlich Millionen von Immobilienbesitzern sowie Betreiber von Industriegewerbe und Betriebsnetzen der Regulierung inklusive der Genehmigungspflicht nach § 4 EnWG unterfallen. Dies erscheint energiepolitisch und administrativ nicht realisierbar. Es ist daher erforderlich und dementsprechend zu erwarten, dass der Gesetzgeber zeitnah Abhilfe schafft und wenigstens die nationalen Regulierungsanforderungen für bestimmte Verteilnetze im Sinne des EU-Rechts zurückfährt. Bis dahin sollten Betreiber sich jedenfalls insoweit absichern, dass Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Möglichkeit der Boden entzogen wird (vgl. § 95 Abs. 1 EnWG).
Auf EU-rechtlicher Ebene streitet für eine Entspannung der Situation im Übrigen auch Art. 22 Abs. 1 Erneuerbare-Energien-Richtlinie, wonach Endkunden, die sich an einer erneuerbaren Energiegemeinschaft beteiligen, keinen ungerechtfertigten oder diskriminierenden Bedingungen oder Verfahren unterworfen werden sollen.