Die Umsetzungsfrist der EU-Whistleblower-Richtlinie läuft ab – Folgen für Kommunen
Steuerhinterziehungen, Briefkastenfirmen, Lebensmittelskandale, Missstände in Pflegeeinrichtungen – Mitarbeiter, die Verstöße und Fehlverhalten an ihrem Arbeitsplatz aufdecken und an die Öffentlichkeit bringen, erweisen der Gesellschaft einen wichtigen Dienst. Doch gleichzeitig riskieren sie gravierende Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Arbeit. Sie haben Repressalien zu befürchten, machen sich u.U. sogar strafbar, werden schikaniert oder fristlos gekündigt. Solche Informanten bedürfen daher eines besonderen gesetzlichen Schutzes. Das deutsche Recht wird vielfach als unzureichend angesehen. Eine wirksame und nachhaltige Verbesserung des Hinweisgeberschutzes verspricht die Whistleblower Richtlinie der EU. Diese sieht u.a. vor, dass sowohl öffentliche als auch private Organisationen ein vertrauliches und effektives Meldesystem einzurichten haben, das es den Beschäftigten ermöglicht, Verstöße gegen das Unionsrecht anzuzeigen.
Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht läuft in Kürze, nämlich zum 31.12.2021 ab. Auch für Kommunen stellt sich nunmehr die Frage, welche Auswirkungen der Ablauf der Umsetzungsfrist für sie haben wird.
Einrichtung interner Meldekanäle
Die Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, sieht vor, dass juristische Personen des privaten und öffentlichen Sektors interne Kanäle und Verfahren einrichten, die es den Mitarbeitern ermöglichen, Informationen über Verstöße gegen das Unionsrecht, die sie im beruflichen Kontext erlangt haben, zu melden. Die Verstöße können verschiedene Bereiche betreffen, insb. das öffentliche Auftragswesen und den Umweltschutz.
Die Pflicht zur Einführung solcher internen Meldestellen trifft auch juristische Personen des öffentlichen Sektors, einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen. Hiervon umfasst sind neben Behörden und sonstige Verwaltungsstellen auch die Betriebe der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts.
Allerdings können die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie ins nationale Recht Ausnahmen für Dienststellen mit weniger als 50 Beschäftigten und für Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern oder weniger als 50 Mitarbeitern vorsehen.
Umsetzungsfristen und Stand der Umsetzung in Deutschland
Die EU-Richtlinie legt fest, dass der Pflicht zur Einrichtung der internen Meldestellen bis 17.12.2021 nachzukommen ist. Eine Ausnahme besteht allerdings für juristische Personen mit weniger als 500 Beschäftigten; diese können sich bis 17.12.2023 Zeit lassen.
Die Umsetzungsfristen entfalten zunächst unmittelbare Wirkungen nur für die Mitgliedstaaten selbst. In Deutschland liegt bislang lediglich ein Referentenentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, vor. Dieser Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes stammt aus der Feder des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz aus dem Jahre 2020.
Der Entwurf sieht vor, dass öffentliche Stellen und kommunale Unternehmen interne Meldestellen dann betreiben müssen, wenn sie entweder einem der dort benannten Wirtschaftszweige angehören (hierunter fallen Branchen wie Finanzdienst- oder Versicherungsleistungen) oder mindestens 50 Mitarbeiter haben.
Laut dem Entwurf müssen Gemeinden und Gemeindeverbände interne Meldestellen nur nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts einführen. Die Landesgesetze können in Umsetzung der EU-Richtlinie in Zukunft eine Ausnahme für Gemeinden und Gemeindeverbände mit weniger als 10.000 Einwohnern vorsehen. Ebenso können die Länder zulassen, dass Gemeinden und Gemeindeverbände interne Meldestellen gemeinsam betreiben.
Anwendbarkeit der EU-Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist
Nicht absehbar ist, ob und bis wann eine Einigung über den Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes erzielt wird. Aktuell ist eher davon auszugehen, dass das Gesetz nicht vor Ablauf der Umsetzungsfrist erlassen wird.
Direkte Folgen hat dies zunächst nur für die Bundesrepublik Deutschland. Setzt ein Mitgliedstaat eine EU-Richtlinie nicht fristgerecht um, droht ihm ein Vertragsverletzungsverfahren.
Im Gegensatz zu EU-Verordnungen werden EU-Richtlinien nicht unmittelbar angewendet. Sie bedürfen der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten in Form eines nationalen Gesetzes. Aus der EU-Richtlinie selbst ergeben sich keine unmittelbaren Rechte und Pflichten für Bürger, Unternehmen und sonstige Organisationen.
Für Kommunen, die nach den vorgenannten Vorgaben zur Einrichtung von internen Meldestellen verpflichtet wären, bedeutet dies jedoch nicht, dass sie sich zurücklehnen können. Kommunen, die bislang untätig geblieben sind, sollten den Aufschub nutzen und mit der Konzeption und Implementierung eines angemessenen Hinweisgebersystems beginnen. Es ist nicht davon auszugehen, dass Deutschland angesichts des drohenden EU-Vertragsverletzungsverfahrens den Erlass des Hinweisgeberschutzgesetzes noch länger hinauszögern wird.
Zudem sollte die Möglichkeit einer mittelbaren Anwendung der EU-Richtlinie nicht außer Acht gelassen werden. So wird das EU-Recht bei der Anwendung von Normen herangezogen, um bspw. unbestimmte Rechtsbegriffe auszufüllen, um gesetzliche Wertungen zu bestimmen oder um Abwägungsentscheidungen zu treffen.
Die Pflicht zum Betrieb von internen Meldestellen könnte z.B. im Rahmen des § 130 Abs. 1, 2 OWiG bedeutsam sein. Hiernach handelt der Inhaber eines öffentlichen Unternehmens ordnungswidrig, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern. Der unbestimmte Rechtsbegriff „erforderliche Aufsichtsmaßnahmen“ könnte künftig im Lichte der EU-Whistleblower-Richtlinie dahingehend ausgelegt werden, dass der Einsatz interner Meldestellen als europäischer Mindeststandard für ein funktionierendes Compliance-Management-System angesehen wird.
[GGSC] berät regelmäßig öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger, kommunale Entsorgungsunternehmen und Abfallbehörden zu Fragen der Compliance.