Newsletter Abfall Januar 2022

Anordnung eines Bereitstellungsplatzes – eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Gelegentlich muss die Abholung von Abfällen wegen fehlender Befahrbarkeit der Zuwegungen zum Grundstück über sog. Bereitstellungsplätze erfolgen. Wie wir in zahlreichen Newsletter-Beiträgen berichtet haben, fallen die Ergebnisse gerichtlicher Entscheidungen in solchen Fällen häufig zugunsten der öff. Entsorgungskörperschaften aus. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen für die Nichterreichbarkeit eines Grundstücks geprüft und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung angestellt wurde.

Transport der Behälter über 150 m zumutbar?

Eine aktuelle Entscheidung zu diesem Thema (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 18.10.2021, Az.: 6 B 42/21) zeigt neue Ansätze auf, die sich allerdings nicht mit den Grundzügen der bisherigen Rechtsprechung zu diesem Fragenkreis in Einklang bringen lassen. Im streitigen Fall, der Gegenstand eines Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz war, wandte sich ein Anlieger gegen die Anordnung, seine Abfallbehälter zu einem etwa 150 m entfernten Bereitstellungsplatz zu bringen.

Das Verwaltungsgericht schätzte die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zumindest als offen ein: Weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Anordnung zur Behälterbereitstellung würden sich aufdrängen. Allerdings zieht das Gericht die Verhältnismäßigkeit der Anordnung durchaus in Zweifel.

Berücksichtigung individueller Umstände der Betroffenen?

Die Verhältnismäßigkeit der Anordnung wertet es dabei v.a. mit Blick auf die persönliche Ausgangslage des Adressaten der Pflicht als kritisch: Im Rahmen der Anordnung seien weder die Alternative eines kostenpflichtigen Holdienstes erwogen noch die Einschränkung des Gehvermögens des Anschlusspflichtigen in die Abwägung einbezogen worden. Bei Anliegern mit körperlichen Einschränkungen könnten „ernstliche Hinweise auf die Unverhältnismäßigkeit“ der Anordnung des Bereitstellungsplatzes vorliegen. Damit zieht das VG allerdings Aspekte heran, welche nach verbreiteter Rechtsprechung in diesen Fallkonstellationen außen vor zu bleiben haben: Insbesondere sind individuelle Umstände der Betroffenen, die eine Bereitstellung der Müllbehälter an einem Sammelplatz erschweren, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich unbeachtlich (vgl. z. B. VG Freiburg, Beschluss vom 25.06.2020, Az. 4 K 1732/20 sowie Urt. v. 20.04.2011, Az. 4 K 1030/09, VG Münster, Urt. v. 19.02.2010, Az. 7 K 963/06; Bayer. VGH, Beschl. v. 29.10.2018, Az. 20 ZB 18.957; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26.06.2017, Az. 5 L 375/16). Notfalls haben die Betroffenen in solchen Fällen (ebenso wie beispielsweise bei der Erfüllung von Räum- und Streupflichten) Hilfe von Dritten einzuholen.

Maßgeblich: Abfallwirtschaftliche Lastenteilung und Lage des Grundstücks

Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist vielmehr vornehmlich ausgehend von der konkreten örtlichen Situation unter Berücksichtigung der abfallrechtlichen Aufgabenteilung zu beurteilen: Danach kommt es insbesondere darauf an, inwieweit angesichts der Entfernung zwischen dem Grundstück und dem Aufstellungsort noch von einem „Überlassen“ der Abfälle ausgegangen werden kann oder bereits ein dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger obliegendes „Einsammeln und Befördern“ anzunehmen ist. Maßgebend ist dafür nach der Rechtsprechung des BVerwG insbesondere die Erschließungssituation des betreffenden Grundstücks in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.

So positiv die erste Einschätzung des VG Schleswig-Holstein daher unter sozialen Aspekten erscheint, stellt sie die Entsorgungsträger doch vor neue Fragen, indem sie offenbar eine Betrachtung der individuellen Situation der Betroffenen fordert. In der Praxis sollte daher zumindest darauf geachtet werden, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung mögliche Alternativen überhaupt abzuwägen.

Co-Autorin: Rechtsanwältin Fanny Jahnke

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