Fördermittelsanktionen nach Vergaberechtsverstößen: EuGH stärkt Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Vorabentscheidungsverfahren klargestellt, dass Fördermittelsanktionen bei Vergaberechtsverstößen sich an einer Einzelfallbewertung orientieren müssen. Eine pauschale Rückforderung allein aufgrund eines Katalogs vordefinierter Arten von Vergaberechtsverstößen ist damit unzulässig (Urteil vom 4.10.2024, Az.: C-175/23).
Der Fall
Eine Gemeinde erhält für ein Projekt teilweise Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). In Folge von Vergaberechtsverstößen bei der Auftragsvergabe fordert die zuständige Verwaltungsbehörde 5 % der förderfähigen Kosten der von den Unregelmäßigkeiten betroffenen Verträge zurück. Die Ermittlung der Höhe der Fördermittelsanktion erfolgt dabei anhand einer Leitlinie, die für die jeweiligen, in einem Vergabeverfahren möglichen Unregelmäßigkeiten, bestimmte Pauschalsätze vorsieht.
Die Gemeinde wendet sich gegen diese Entscheidung und das zuständige Verwaltungsgericht legt daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob solche Fördermittelrückforderungen anhand von Pauschalsätzen bei vordefinierten Unregelmäßigkeiten mit EU-Recht vereinbar sind.
Die Entscheidung
Der EuGH entscheidet, dass es unzulässig ist, wenn jeder Verstoß gegen das Vergaberecht pauschal zu einer Rückforderung von Fördermitteln führt. Eine solche automatische Sanktionierung anhand von Pauschalsätzen wäre unverhältnismäßig. Stattdessen muss die Fördermittelbehörde zunächst ermitteln, ob dem EU-Haushalt durch den Vergaberechtsverstoß zumindest ein potentieller finanzieller Schaden droht. Nur wenn auf der ersten Stufe diese Voraussetzung erfüllt ist, kommen Fördermittelsanktionen in Betracht. Soweit es die Höhe der finanziellen Sanktionen betrifft, darf die Nachprüfungsbehörde zwar auf Leitlinien mit Pauschalsätzen zurückgreifen. Aber auch hier ist ein Automatismus in der Anwendung unzulässig. Die Behörde muss vielmehr jeweils prüfen, ob Art und Schweregrad der festgestellten Unregelmäßigkeit sowie der potentiell entstandene finanziellen Verlust für den jeweiligen Fördermitteltopf eine Abweichung von den Pauschalsätzen im Einzelfall gebietet.
Praxishinweise
In der Beratungspraxis von [GGSC] sind (drohende) Fördermittelrückforderungen bei Vergaberechtsverstößen ein Dauerbrenner. Das betrifft nicht nur öffentliche Auftraggeber, sondern auch private Auftraggeber, deren Projekte mit Fördermitteln (ko-)finanziert werden. Bestandteil der Fördermittelauflagen ist dann regelmäßig die Verpflichtung des Mittelempfängers zur Einhaltung vergaberechtlicher Bestimmungen (siehe nachfolgenden Beitrag)
Der Fokus von [GGSC] bei der Begleitung von Vergabeverfahren für Subventionsmittelempfänger liegt daher auf der strikten Einhaltung vergaberechtlicher Verfahrensbestimmungen, der Dokumentation und einer Schärfung des Problembewusstseins der Auftraggeber für finanzielle Risiken durch Fördermittelsanktionen. Zur Vermeidung von Haftungsrisiken sollte das auch Architekten bewusst sein, die im Rahmen der HOAI-Leistungsphasen 6 und 7 an der Vergabe von Bauleistungen mitwirken.
Sind (nicht korrigierbare) Fehler im Vergabeverfahren unterlaufen, wird [GGSC] zur Abwendung oder Minderung von Fördermittelrückforderungen tätig. Die Entscheidung des EuGH zeigt, dass bei EU-Subventionen die konkrete Rückforderungsquote detailliert auf ihre Begründung hin überprüft werden sollte. In der Vergangenheit konnte [GGSC] bereits durch entsprechende Stellungnahmen Rückforderungen von EFRE-Mitteln in beträchtlicher Höhe von Auftraggebern abwenden.