Newsletter Bau Juni 2025

Fehlerhaftes Bundesgesetz bremst Wohnungsneubau deutschlandweit

20.06.2025

Seit Mai 2020 hat der Berliner Senat auf dem ca. 11 ha großen Areal des ehemaligen Güterbahnhofs Köpenick zwischen S-Bahnhof Köpenick und S-Bahnhof Hirschgarten einen städtebaulichen Entwicklungsbereich festgesetzt. Danach ist das Bahnareal unter anderem für Wohnungsneubau vorgesehen. Im Oktober 2021 einigten sich das Land Berlin und die Deutsche Bahn AG (DB AG) darauf, dass diese Flächen sukzessive an das Land Berlin übertragen werden sollen. Die Deutsche Bahn würde im Gegenzug die Zustimmung zur Freistellung vom Bahnbetriebszweck erklären, damit dort bis zu 1.800 neue Wohnungen errichtet werden können.

Daraus wird nun erst einmal nichts. Denn der Bundesgesetzgeber hat die Regelung über die Freistellung eines Grundstücks vom Bahnbetriebszweck in § 23 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) überraschend und ohne jegliche Übergangsfristen mit Wirkung zum 28. Dezember 2023 verschärft. Danach ist eine Entwidmung von Betriebsflächen der Bahn nur noch dann möglich, wenn das vom Antragsteller geltend gemachte Interesse an der Freistellung das „überragende öffentliche Interesse am Bahnbetriebszweck“ überwiegt. Pate für diesen Gesetzeswortlaut stand eine Formulierung im Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG), wonach die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der erneuerbaren Energien sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen. 

Aufgrund der neuen Rechtslage hat das Eisenbahnbundesamt (EBA) als zuständige Planfeststellungsbehörde gegenüber dem Berliner Senat die Freistellung der Bahnfläche am Güterbahnhof Köpenick mit Bescheid vom 30.04.2025 abgelehnt (der Bescheid ist öffentlich einsehbar auf der Website des Eisenbahnbundesamts).

Neben dem Güterbahnhof Köpenick erschwert die Neuregelung weitere sieben Berliner Projekte, insbesondere die Planung und den Bau von über 3.000 weiteren Wohnungen. Ähnlich ergeht es deutschlandweit ca. 130 Stadtentwicklungsprojekten. Um 5.700 Wohnungen geht es in Stuttgart allein im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21.

Ursprüngliche Rechtslage

Nach der zuvor geltenden Rechtslage konnte ein Grundstück von Bahnbetriebszwecken freigestellt werden, wenn das Verkehrsbedürfnis entfallen war und eine Nutzung der Bahninfrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung langfristig nicht mehr zu erwarten ist. Da das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Köpenick seit Jahrzehnten nicht mehr für bahnbetriebliche Zwecke genutzt wird und laut den Plänen der Deutsche Bahn AG auch in Zukunft nicht derartig genutzt werden soll, hätte einer Freistellung danach nichts im Wege gestanden.

Neue Rechtslage

Der Bundesgesetzgeber bezweckte mit der Änderung des § 23 AEG die Klarstellung, dass die Erhaltung des Bahnbetriebszwecks ein überragendes öffentliches Interesse darstellt. Bezugspunkt der Regelung ist Art. 87 Abs. 4 GG, wonach der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der Allgemeinheit auch beim Ausbau und beim Erhalt des Schienennetzes Rechnung getragen wird. Angesichts der Misere, in der sich die Deutsche Bahn AG derzeit befindet und der Tatsache, dass Fahrgäste wohl erst im Jahr 2070 wieder mit pünktlichen Zügen rechnen dürfen, ist das sicherlich ein verständliches Ziel. Aber gut gemeint, ist eben nicht gut gemacht: 

Als überragendes öffentliches Interesse setzt sich – auch ohne ein konkret absehbares Eisenbahnverkehrsinteresse – der Bahnbetriebszweck in der Abwägung regelmäßig gegenüber anderen Belangen durch, soweit diesen kein gleichgewichtiges öffentliches Interesse zugesprochen werden kann. Das Eisenbahnbundesamt versteht die Neuregelung des § 23 AEG dahin, dass gleichgewichtig nur solche Interessen sein können, die vom Gesetzgeber ebenfalls ausdrücklich als überragend eingestuft werden oder denen Verfassungsrang zukommt (die also im Grundgesetz benannt werden). 

Laut dem Ablehnungsbescheid vom 30. April 25 sollen die Wohnungsbauziele des Landes Berlins kein derartig gleichwertiges Interesse darstellen. Einen allgemeinen Verfassungsauftrag zum Wohnungsbau gebe es nicht. Vielmehr könne die Sicherstellung des Wohnungsneubaus durch die Privatwirtschaft erfüllt werden, zu der auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen gehörten. Dass die Deutsche Bahn AG selbst der Freistellung zugestimmt habe, sei unbeachtlich, da das Recht zur Entwidmung allein dem EBA als insoweit zuständiger Bundesbehörde zustehe. Im Rahmen eines Reaktivierungsvorbehalts sei auch bei stillgelegten Bahnanlagen die Freistellung regelmäßig zu verweigern, um unabhängig von aktuellen wirtschaftlichen Erwägungen der Deutsche Bahn AG im zukünftigen Bedarfsfalle die Nutzung zu Bahnbetriebszwecken zügig wieder aufnehmen zu können.

Änderungsbemühungen

Der Bundesgesetzgeber hat zwischenzeitlich erkannt, dass durch diese Verschärfung der Freistellungsanforderungen zahlreiche Stadtentwicklungsprojekte blockiert werden. Daher hatten bereits die früheren Regierungsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 17. Dezember 2024 einen Änderungsvorschlag in den Bundestag eingebracht, der jedoch wegen der Neuwahlen im Februar 2025 nicht mehr verabschiedet wurde. Ziel war die Ergänzung des Gesetzes, um Ausnahmen jedenfalls dann zu erreichen, wenn die Freistellung bereits vor Inkrafttreten des neuen Wortlauts des § 23 AEG beantragt worden war.

Am 3. Juni 2025 haben nun die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt, wonach das Überwiegen des überragenden öffentlichen Interesses für die Freistellung nicht mehr notwendig ist. Des Weiteren soll für bereits vor der Gesetzesänderung im Dezember 2023 beantragte Freistellungsverfahren die zuvor geltende Gesetzeslage zur Anwendung kommen.  Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen Änderungsvorschlag vorgelegt; beide Entwürfe werden nun im Verkehrsausschuss beraten. Der Bundesverkehrsminister erklärte dazu: 

Es ist den Menschen in unserem Land nicht vermittelbar, wenn zahlreiche sinnvolle Stadtentwicklungsprojekte blockiert werden, obwohl für die betroffenen Flächen weder ein Verkehrsbedürfnis noch eine langfristige Nutzungsperspektive für den Bahnbetrieb besteht.“ 

Fazit 

Eine Änderung des Wortlauts des neuen § 23 AEG ist dringend notwendig, um die ohnehin komplexen Stadtentwicklungsprojekte voranzutreiben.  Die Einigkeit der aktuellen Regierungsfraktionen in diesem Punkt ist groß, sodass darauf zu hoffen ist, dass die Neufassung rasch beschlossen wird und in Kraft tritt. Wohnungssuchende nicht nur in Berlin können dann zumindest wieder hoffen. 

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