§ 246e BauGB – Der „Bau-Turbo“ kommt: Neuer Anlauf für flexiblere Wohnraumschaffung in angespannten Märkten
Der Wohnraummangel in deutschen Städten ist evident und der politische Handlungsdruck entsprechend hoch. Da könnte ein „Bau-Turbo“ helfen.
Mit § 246e BauGB lag ein Gesetzentwurf vor, der Gemeinden in bestimmten Lagen eine befristete Abweichungsmöglichkeit von planungsrechtlichen Vorgaben eröffnen soll. Der Entwurf wurde aber im Zuge des Koalitionsbruchs 2024 nicht verabschiedet. Bauministerin Verena Hubertz kündigte nun Mitte Mai 2025 im Bundestag an, innerhalb der ersten 100 Tage der Legislaturperiode tätig zu werden. Auch der Koalitionsvertrag sieht eine zweistufige Novelle des Baugesetzbuchs vor (S. 23, Rn. 713 ff.), wobei die Einführung des sogenannten „Wohnungsbau-Turbos“ ausdrücklich als erster Schritt benannt ist. Nach dem aktuellsten Referentenentwurf (Stand 04.06.2025) soll der „Bau-Turbo“ folgenden Gesetzeswortlaut haben:
„Mit Zustimmung der Gemeinde kann bis zum Ablauf des 31. Dezember 2030 von den Vorschriften dieses Gesetzbuchs oder den aufgrund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden, wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist und einem der folgenden Vorhaben dient (…).“
Es werden dann die privilegierten Wohnungsbauvorhaben aufgezählt und besondere Regeln für den Außenbereich festgelegt. Außerdem wird auf die neu einzuführende Sonderregelung für die Zustimmung der Gemeinde verwiesen (§36a BauGB).
Einordnung und Hintergrund
Das Bundesbauministerium sieht in § 246e BauGB eine Art „Experimentierklausel“, die einen gezielten Impuls zur Wohnraumschaffung in dicht besiedelten Gebieten unabhängig vom vorhandenen Planungsrecht setzen soll. Anders als bei Flüchtlingsunterkünften (siehe § 246 Abs. 9 BauGB) ist nicht einmal ein „unmittelbarer räumlicher Zusammenhang“ zum Innenbereich erforderlich. Mit dieser Reichweite ist diese Abweichungsmöglichkeit rechtlich und praktisch bemerkenswert. Sie könnte zu einem echten Gamechanger im innerstädtischen Wohnungsbau werden.
Chancen - aber auch strukturelle Hürden
So klar die Zielrichtung der Vorschrift ist, so herausfordern ist ihre Umsetzung in der Praxis. Die Abweichungsmöglichkeit eröffnet neue Handlungsspielräume und stellt zugleich Behörden vor erhebliche Auslegungs- und Bewertungsfragen, insbesondere wenn keine klaren Orientierungshilfen vorliegen. Denn die Bauaufsichtsbehörden haben die Möglichkeit, „öffentliche Belange“ und „nachbarliche Interessen“ als pauschales Gegenargument heranzuziehen. Der beabsichtigte Beschleunigungseffekt verpufft, wenn keine praktikable Auslegungskultur etabliert wird. Damit das Instrument rechtssicher und mutig genutzt werden kann, braucht es praxisgerechte Anwendungshinweise, zum Beispiel durch die Landesbauministerien oder gemeinsame Erläuterungen der Kommunalverbände. Die Genehmigungsbehörden stehen sonst vor einem rechtlichen Graubereich, in dem Ablehnungen eher wahrscheinlich sind als mutige Zustimmungen. Auch Nachbarklagen dürften die Anwendung zusätzlich erschweren, wenn die Abweichungsvoraussetzungen nicht belastbar definiert sind.
Berliner Besonderheiten
Ein zentraler Punkt des „Bau-Turbos“ ist das Einvernehmen der Gemeinde gemäß der geplanten neuen Vorschrift in § 36a BauGB. Das Einvernehmen ist in jedem Fall erforderlich und kann anders als das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB nicht durch die höhere Verwaltungsbehörde ersetzt werden. Dies wirft die Frage auf, inwieweit es in Berlin möglich ist, dass die zuständige Senatsverwaltung sich nach einem Eingriff in ein laufendes Verfahren oder im Widerspruchsverfahren über eine gegenteilige Auffassung des Bezirks hinwegsetzt. Richtigerweise wird man - wie auch bei § 31 Abs. 3 BauGB - unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 BerlVerf annehmen können, dass kein Einvernehmen des Bezirks in diesen Fällen erforderlich ist, weil SenSBW nicht als „höhere Verwaltungsbehörde“, sondern insoweit als zuständiges Organ der Gemeinde handelt.
Fazit
§ 246e BauGB ist mehr als ein symbolischer Vorstoß: Er kann – bei richtiger Umsetzung – zum echten Beschleunigungsinstrument für den Wohnungsbau werden. Voraussetzung ist jedoch, dass Kommunen sich auf die Regelung einlassen, klare Leitlinien erhalten und dass der Gesetzgeber die Anwendung nicht durch zu enge Auslegungsvorgaben selbst ausbremst. Ob der „Bau-Turbo“ tatsächlich zündet, wird sich vor allem an der praktischen Umsetzung entscheiden.