Newsletter Vergabe Februar 2022

Impulse für das Vergaberecht aus dem Koalitionsvertrag

Sind von der Ampelkoalition neue Impulse für das Vergaberecht zu erwarten? Im Koalitionsvertrag finden sich zum Thema Ausschreibung nur vereinzelt Aussagen. In erster Linie geht es der Koalition um Aspekte, die erfahreneren Anwendern des Vergaberechts als klassische Regelungsziele für das Vergaberecht nicht fremd sind.

Der erste Satz unter der Überschrift „Vergabe“ lautet also erwartungsgemäß: „Wir wollen die öffentlichen Vergabeverfahren vereinfachen, professionalisieren, digitalisieren und beschleunigen.“

Sekundäre Kriterien für soziale, ökologische und innovative Vergaben

Gleich im Anschluss werden aber die sog. sekundären Vergabekriterien betont, also diejenigen Kriterien, die neben dem Preis in modernen Vergaben zunehmend eine Rolle spielten: „Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen.“

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Anliegen der Koalitionäre, wonach sich die öffentliche Hand am Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima- und Umweltkosten beteiligen soll. Werden also die Vergabestellen künftig über die Modernisierung des Vergaberechts mehr Möglichkeiten der Berechnung von Lebenszykluskosten etc. haben, die über ökologische Kriterien für die Zuschlagserteilung von Bedeutung sein können? Wir sind gespannt, ob der Bundesgesetzgeber in der laufenden Legislaturperiode auch Vorschläge hierfür unterbreitet oder ob primär die Vergabestellen in die Pflicht genommen werden sollen.

Sonderfalls Digitalisierung: Einheitliche Plattform für die Vergaben aller Auftraggeber?

Nach wie vor steht die Digitalisierung des Vergaberechts im Vordergrund. Postuliert werden hier etwaige Verbesserungen vor allem in Richtung einer einheitlichen bzw. zentralen und anwenderfreundlichen Plattform, über die alle öffentlichen Vergaben zugänglich werden sollen.

In der Tat erschwert die Vielzahl an Anbietern gerade in Bundesländern, in denen keinen konkreten Plattformen vorgegeben oder empfohlen werden, nicht nur für die Vergabestellen, sondern vor allem für die Bieter eine effektive e-Vergabe, bei letzteren v.a. die handhabbare digitale Angebotslegung. 
Sollen „schnelle Entscheidungen bei Vergabeverfahren der öffentlichen Hand“ gefördert werden, kann hierin durchaus ein Schlüssel liegen. Weiter ist die Unterstützung von Ländern und Kommunen bei der Vereinfachung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit vorgesehen – das ist nur zu begrüßen, auch wenn solche Ankündigungen vage bleiben.

Tarifautonomie und Tariftreue

Zur Stärkung der Tarifbindung sollen jedenfalls öffentliche Auftragsvergaben des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht. Werden auf Bundesebene repräsentative Tarifverträge vorgegeben, kann dies auch zu einer Vereinfachung und Vereinheitlichung der Landesvergabegesetze führen, die sich teils auf unterschiedlichen Wegen um die Stärkung der Tarifbindung bei Auftragsvergaben bemühen.

Für den Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) werden Regelungsanliegen zur Tarifbindung noch weiter konkretisiert: Offenbar zur Stärkung der Tariftreue soll die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden, Tarifverträge zur Bedingung bei Ausschreibungen zu machen. Mittelständische Interessen sollen bei der Vergabe gleichzeitig weiterhin zu berücksichtigen sein. Zusammenfassend wird für den ÖPNV am Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre festgehalten.

Stärkung der Mittelstandsfreundlichkeit von Vergaben – aber wie?

Die Notwendigkeit mittelstandsfreundlicher Vergaben wird – wie jetzt schon in den entsprechenden Rahmenregeln, v.a. im GWB für Oberschwellenvergaben – weiterhin betont. Nach wie vor und auch nach dem Koalitionsvertrag der Ampel-Koalitionäre soll die Beteiligungsmöglichkeiten von kleinen und mittleren Betrieben an Vergabeverfahren ausdrücklich gestärkt werden – wie dies geschehen soll, bleibt allerdings völlig offen.

Sonderregelungsbereiche Maritime Wirtschaft und Wirtschaftsprüfer

Schließlich wird am Bereich der Maritimen Wirtschaft klargestellt, dass dortige Vergabeverfahren beschleunigt werden sollen. Ein Weg dahin liegt offenbar in der ausdrücklich erwähnten, konsequenten Einstufung des Marine-Unter- und Überwasserschiffbaus sowie des Behörden- und Forschungsschiffbaus als Schlüsseltechnologien inklusive der Instandhaltung.Ob sich der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer über die dortige, gesonderte Erwähnung des Vergaberechts freuen darf? Danach soll „der hohen Konzentration auf dem Abschlussprüfungsmarkt“ mit „geeigneten Maßnahmen, beispielsweise bei der öffentlichen Auftragsvergabe“, entgegengetreten werden. Wie dies gelingen soll, bleibt ebenfalls offen.

Fazit

Interessant sind vor allem die Hinweise für die Stärkung der sekundären Kriterien, v.a. zur Beteiligung der öffentlichen Hand am Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima- und Umweltkosten, die Andeutung von an „repräsentativen Tarifverträgen“ orientierte Tariftreuepflichten für Bundesvergaben sowie das Projekt der Etablierung einer zentralen Vergabeplattform. Von diesen Projekten kann durchaus eine Signalwirkung für Vergabeverfahren ausgehen – wie auch immer diese eingeschätzt werden.

Dabei ist den Koalitionären klar, dass gerade im Oberschwellenbereich die Standards (und die Vorgaben!) in erster Linie auf EU-Ebene gesetzt werden. Dieser Erkenntnis dürfte der Hinweis geschuldet sein, dass der Koalitionsvertrag (jedenfalls) eine Präzisierung der dortigen Vorgaben im nationalen Recht verspricht. Wir wünschen der Koalition jedenfalls viel Erfolg bei der Umsetzung ihrer Pläne!

[GGSC] berät umfassend zum Vergaberecht.  [GGSC] unterstützt öffentliche Auftraggeber bei der rechtssicheren digitalen Vergabe sowie der Umsetzung von sozialen und ökologischen Kriterien.

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