Muss man wegen des Krieges in der Ukraine Preisgleitklauseln vereinbaren?
Die VK Lüneburg hat bekräftigt, dass jedenfalls bei Bauvergaben unverändert eine Verpflichtung bestehe, Preisgleitklauseln zu vereinbaren. Wegen des Ukrainekriegs sei eine Ausschreibung ohne Preisgleitklausel ein Verstoß gegen das Verbot, den Bietern ein ungewöhnliches Wagnis aufzuerlegen. (Beschl. v. 01.02.2023, Az.: VgK-27/2022).
Hintergrund
Kurz nach Beginn des Krieges hat das Bundeswirtschaftsministerium bekanntlich den Bundesbehörden vorgegeben, flächendeckend Preisgleitklauseln zu vereinbaren. Hierzu existiert das Formblatt 225 aus dem Vergabehandbuch des Bundes. Im Sommer 2022 entschied dann die VK Westfalen für ein Angebot, das am 04.03.2022 eingereicht werden musste – das also im Februar, noch zu Friedenszeiten kalkuliert wurde – dass eine Ausschreibung ohne Preisgleitklausel ein Verstoß gegen § 7 VOB/A EU sei. Denn wegen des Krieges in der Ukraine und wegen der dadurch massiv gestörten Lieferketten könnten die Unternehmen nicht belastbar kalkulieren (Beschl. v. 12.07.2022, Az.: VK 3-24/22).
Im Herbst 2022 entschied die VK Bund dies dann genau andersherum (Beschl. v. 19.10.2022, Az.: VK 1-85/22), allerdings für eine reine Lieferausschreibung. Das zentrale Argument war dort, dass die VgV, anders als die VOB/A, keine Regelung enthalte, wonach ungewöhnliche Wagnisse unzulässig seien. Deshalb komme es nur auf allgemeine Zumutbarkeitsgrenzen an, und die hielt die VK Bund seinerzeit für noch eingehalten, u.a., weil die Vertragslaufzeit bei Lieferzeiten viel kürzer sei als bei Bauleistungen und weil konkret Kündigungsmöglichkeiten bestanden (s. dazu unseren Beitrag im letzten Vergabe Newsletter).
Entscheidung der VK Lüneburg
Die VK Lüneburg hatte sich nun erneut mit einer Bauausschreibung zu befassen und bestätigte die rechtliche Auffassung der VK Westfalen: Wegen § 7 VOB/A EU sei die Rechtslage bei Bauausschreibungen anders, hier sei es nach wie vor verboten, ungewöhnliche Wagnisse vorzugeben. Und da der Krieg in der Ukraine andauere und für alle Beteiligten nicht vorhersehbar sei, wie er sich entwickeln werde, sei es nach wie vor unzumutbar, von den Bietern Festpreise für die gesamte Bauzeit zu verlangen. Deshalb sei es auch im Jahr 2023 noch für öffentliche Auftraggeber verpflichtend, in Bauausschreibungen Preisgleitklauseln zu vereinbaren, zumal es inzwischen zu dem recht komplizierten Formblatt 225 eine Vereinfachung gebe (Formblatt 225a).
Folgerungen für die Praxis
Jedenfalls für Bauausschreibungen folgt aus den beiden zitierten Entscheidungen, dass der sicherste Weg für öffentliche Auftraggeber nach wie vor darin besteht, Preisgleitklauseln zu vereinbaren. In den Bundesländern, die sich an den Erlass des Bundeswirtschaftsministeriums angekoppelt haben, wird dies nicht anders gehen als durch Verwendung der erwähnten Formblätter 225 und 225 a.
Dort wo diese strenge Vorgabe nicht existiert, hat die Praxis des letzten Jahres gezeigt, dass es deutlich bessere und praxisnahe Möglichkeiten gibt, Preisanpassungsregeln vertraglich zu gestalten als durch Verwendung des Formblatts 225. Insbesondere hat sich der Ansatzpunkt im Formblatt 225 nicht bewährt, wonach die ausschreibende Stelle vor Beginn der Ausschreibung das Preis-
niveau quasi festschreiben solle. Andere Regelungen funktionieren ebenso gut, bei denen man von den Angebotspreisen ausgeht und dann unter näher zu definieren den inhaltlichen Voraussetzungen eine Preisanpassung nach Baupreisindex regelt. Je nach Größe des Projekts bietet sich aber durchaus an, die Regelung projektspezifisch zu gestalten. In Verhandlungsverfahren hat es sich ferner bewährt, die Klausel mit den Bietern gemeinsam auszuhandeln.
Bei Ausschreibung reiner Lieferleistungen und wohl auch Dienstleistungen ist die Rechtslage mit Blick auf die Entscheidung der VK Bund etwas flexibler. Gerade bei Lieferleistungen geht es, anders als bei Bauleistungen und bei Planungsleistungen, auch nicht um eine jahrelange vertragliche Bindung. Wenn sich also die Lieferzeit im Rahmen hält, sollte eine Preisgleitklausel entbehrlich sein. Selbstverständlich bleibt es aber erlaubt, bei Lieferausschreibungen Preisgleitklauseln in die Vergabeunterlagen aufzunehmen.