Newsletter Bau Juli 2022

Wohin mit dem Regenwasser in Berlin?

Was für den Gartenbesitzer oft ein Segen ist, kann sich auf zur Bebauung anstehenden Grundstücken als Fluch erweisen: Es fällt (zu viel) Regen und das Wasser muss irgendwo hin. Jahrzehntelang schien darin kein großes Problem zu liegen, denn bei im Siedlungszusammenhang liegenden Grundstücken gab (und gibt) es ja eine Kanalisation. Doch mit der Einleitung des Regenwassers in diese
Kanalisation ist in Berlin nun weitgehend Schluss.

Dies ergibt sich aus einem unscheinbaren „Hinweisblatt (Stand Juli 2021)“, das die SenUVK bereits 2018 in einer ersten „weichen“ Fassung veröffentlichte und unter dem Titel „Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin (BReWa-BE)“ deutlich verschärft hat.

Einleitungsverbot in die Mischkanalisation

Circa 40 % der Baugrundstücke in Berlin – vor allem in den Innenstadtlagen – sind an die Mischkanalisation angeschlossen. Schmutz- und Niederschlagswasser fließen in den gleichen Kanal und – im Regelfall – gemeinsam durch die Kläranlagen. Bei Starkregen läuft das System allerdings oft über und das „Mischwasser“ gelangt ungeklärt in die natürlichen Gewässer. Das widerspricht bereits in dem gegenwärtig erreichten Umfang dem EU-Recht und es ist zu erwarten, dass die Zahl der Verstöße mit der Zahl und dem Umfang zukünftiger Starkregenereignisse zunimmt. Das Hinweisblatt hat dafür nun eine „Lösung“:

„Bei Bauvorhaben im Einzugsbereich der Mischkanalisation sind Regenwassereinleitungen grundsätzlich nicht mehr möglich. Nur in begründeten Ausnahmefällen werden Regenwassereinleitungen durch die Berliner Wasserbetriebe zugelassen und entsprechend den örtlichen Gegebenheiten weitgehende Einleitbeschränkungen ausgesprochen.“

Dem gestandenen Juristen kräuseln sich sofort mehr als nur die Barthaare, wenn er eine so einschneidende Festlegung in einem „Hinweisblatt“ findet. Darf die Abteilung Integrativer Umweltschutz der SenUVK auf diese Weise entscheiden, was in Berlin „möglich“ ist? Und dürfen die BWB über das Vorliegen eines „begründeten Ausnahmefalles“ verbindlich entscheiden und in welchem Verfahren und nach welchen Regeln? Und schließlich: Sind der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn der Nachbar den gesamten Niederschlag seines unsinnigerweise seit Jahrzehnten weitgehend versiegelten Grundstücks weiterhin unbegrenzt einleiten darf, während bei der Neuerrichtung bei (möglicherweise: Sozial-) Wohnungen ein hoher Aufwand für den Bau und die dauerhafte Unterhaltung von Anlagen zur „dezentralen Regenwasserbewirtschaftung“ für zwingend erforderlich erklärt wird?

Hier sind dringend amtliche Antworten gefragt.

Fachgutachten bei jeder Einleitung

Für alle anderen Einleitungen legt das Hinweisblatt Folgendes fest:

„Ist im Einzugsbereich der Regenwasserkanalisation oder bei Direkteinleitungen eine vollständige Bewirtschaftung des Regenwassers auf dem Grundstück aufgrund objektiver Rahmenbedingungen nicht umsetzbar, ist dies in Form eines Fachgutachtens zu begründen.“

Normen zu den vom Gutachter zu prüfenden „objektiven Rahmenbedingungen“ sucht man im Hinweisblatt aber auch sonst vergeblich. In der „Verordnung über Bauvorlagen und das Verfahren im Einzelnen (Bauverfahrensverordnung – BauVerfV)“ ist die Vorlage eines solchen Fachgutachtens überhaupt nicht vorgesehen. Wer also bekommt es und prüft es? Entgegen dem Wortlaut des Hinweistextes ist dies nicht die Wasserbehörde, wenn in einen Regenwasserkanal eingeleitet werden soll, die ist nämlich nur für die Einleitung in natürliche Gewässer (einschließlich der Versickerung) zuständig. Also wieder die BWB? Und was ist hier mit dem Gleichbehandlungsprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz? Erneut sind deutliche amtliche Antworten gefragt.

Überflutungsnachweis

Zum Thema Überflutungsgefahren führt das Hinweisblatt Folgendes aus:

„Für Grundstücke mit einer abflusswirksamen Fläche von mehr als 800 m² ist ein entsprechender Überflutungsnachweis im Sinne der technischen Regelwerke zu erbringen. Für Grundstücke mit einer abflusswirksamen Fläche bis zu 800 m² ist ein geeigneter Überflutungsnachweis in Anlehnung an die technischen Regelwerke zu führen.“

Dass ein kluger Bauherr sich auch Gedanken über die Überflutungsproblematik bei Starkregen macht, dürfte inzwischen die Regel sein. Dazu gibt es inzwischen auch geeignete technische Regelwerke. Was jeweils in deren „Sinn“ ist und woran man sich „anlehnen“ könnte, ist allerdings nicht immer ganz einfach festzustellen. Im Hinweisblatt fehlt im Übrigen jeglicher Hinweis, bei wem denn ein solcher „Überflutungsnachweis“ vorzulegen ist. In der BauVerfV ist er nicht vorgesehen. Auch § 66 BauO Bln (Bautechnische Nachweise) regelt dazu nichts. Die Prüfung eines Überflutungsnachweises gehört auch nicht zum Prüfprogramm der Bauaufsicht im „vereinfachten Baugenehmigungsverfahren“ gem. § 63 BauO Bln, das für alle Bauvorhaben mit Ausnahme von Sonderbauten durchzuführen ist, wenn sie nicht sogar der Genehmigungsfreistellung gem. § 62 BauO Bln unterliegen. Auch die BWB kann nicht zuständig sein, denn zu ihren Aufgaben gehört weder die umfassende Sorge um den „angrenzenden Straßenraum“ noch (erst recht) angrenzende (Privat-)Grundstücke.

Ergebnis

Niemand kann heute noch ernsthaft die Notwendigkeit eines nachhaltigen Regenwassermanagements bestreiten. Diese Notwendigkeit gilt aber nicht nur für Neubauten und nicht nur im privaten Raum. Der Gleichbehandlungsgrundsatz und die Verhältnismäßigkeit verlangen, dass alle „Verursacher“ von Niederschlagswasserableitungen angemessen (und nur angemessen) in die Pflicht genommen werden und eine klare Regelung für Prüf- und Entscheidungszuständigkeiten und wesentliche Auflagen und Ausnahmen besteht. Dem genügt das Hinweisblatt in keiner Weise. Die Landesregierung wird hier also substanziell tätig werden müssen, wenn das Hinweisblatt nicht zu einem weiteren ernsthaften „Bauhindernis“ werden soll.

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