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[GGSC] Rundbrief: EuGH - Vergabefreie interkommunale Kooperation nur bei echter Zusammenarbeit

08.06.2020

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: An eine vergabefreie interkommunale Zusammenarbeit werden hohe Anforderungen gestellt. Der EuGH verlangt einen kooperativen Charakter der Zusammenarbeite und lässt „Leistung gegen Entgelt“ nicht vergabefrei zu. [GGSC] stellt die Entscheidung vor und gibt Hinweise zu den Auswirkungen auf die Praxis.

Gerade im Bereich der Abfallwirtschaft spielen interkommunale Kooperationen eine wichtige Rolle. Öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger (örE) erfüllen ihre Entsorgungsaufgaben nicht selten arbeitsteilig, indem sie andere örE auf der Grundlage von Zweckvereinbarungen mit der Durchführung bestimmter Teilleistungen (z.B. Restabfallbehandlung) beauftragen. Damit die Beauftragung anderer örE ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens erfolgen kann, ist es u.a. erforderlich, dass zwischen beiden örE eine „Zusammenarbeit“ im Sinne des § 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB begründet wird.
Welche Anforderungen an eine solche „Zusammenarbeit“ zu stellen sind, hat der EuGH nunmehr mit Urteil vom 04.06.2020 in der Rechtssache REMONDIS ./. Abfallzweckverband Rhein-Mosel-Eifel (Rs. C-429/19) entschieden.  Das Urteil stellt einen weiteren Meilenstein in der Rechtsprechung des EuGH zur Einordnung der interkommunalen Zusammenarbeit in den Anwendungsbereich des Vergaberechts dar. Beim letzten Grundsatzurteil des EuGH hatte [GGSC] durch die Anwälte Wolfgang Siederer und Linus Viezens erfolgreich den Beigeladenen (aha Hannover) vertreten und an der Feststellung mitgewirkt, dass die Aufgabenübertragung als staatlicher Organisationsakt nicht dem Vergaberecht unterliegt (EuGH, Urt. v. 21.12.2016, Rs. C-51/15).

Dem aktuellen Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der beklagte Zweckverband ist als örE zur Entsorgung der in seinem Verbandsgebiet anfallenden gemischten Siedlungsabfälle nach den Vorgaben des KrWG verpflichtet. Durch Zweckvereinbarung – ohne zuvor ein Vergabeverfahren durchgeführt zu haben – beauftragte er einen benachbarten Landkreis, die Abfälle gegen Zahlung eines kostendeckenden Entgeltes in einer Anlage des Landkreises zu behandeln. Die weiteren Schritte zur Entsorgung der behandelten Abfälle (v.a. Deponierung) werden vom Zweckverband durchgeführt. Die Klägerin (REMONDIS) hatte ein Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel eingeleitet, den Zweckverband zur Ausschreibung der Entsorgungsdienstleistungen zu verpflichten.

In der Rechtsmittelinstanz hatte das OLG Koblenz die Frage zu prüfen, ob es für eine vergabefreie „Zusammenarbeit“ nach § 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB ausreicht, wenn der beauftragte Landkreis die Entsorgungsleistung gegen Zahlung eines kostendeckenden Entgeltes erbringt und sich der Zweckverband als Auftraggeber lediglich verpflichtet, die behandelten Restabfälle (ca. 46% des Inputs) zum Zwecke der Entsorgung zurückzunehmen.

Das OLG Koblenz hat dem EuGH den Sachverhalt zur Vorabentscheidung vorgelegt und darum ersucht, den aus der EU-Vergaberichtlinie stammenden Begriff der „Zusammenarbeit“ (Art. 12 Abs. 4 lit. a) der Richtlinie 2014/24/EU) auszulegen.

Der EuGH stellt in seinem Urteil klar, dass es für eine vergabefreie interkommunale Zusammenarbeit nicht ausreicht, wenn ein öffentlicher Auftraggeber eine ihm als örE obliegende Aufgabe, für deren Erledigung mehrere Arbeitsgänge notwendig sind, nicht vollständig selbst erledigt, sondern einen anderen, von ihm unabhängigen örE damit beauftragt, gegen Entgelt einen der notwendigen Arbeitsgänge auszuführen.

Der EuGH legt den Begriff der Zusammenarbeit wörtlich, im Sinne einer „echten Zusammenarbeit“ aus. Grundlage der Zusammenarbeit müsse ein „kooperatives Konzept“ sein, d.h. ein Zusammenwirken aller Parteien der Kooperationsvereinbarung für die Gewährleistung der von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen. Die Zusammenarbeit von Einrichtungen des öffentlichen Sektors zeichne sich durch eine „kollaborative Dimension“ aus, innerhalb derer die Parteien gemeinsam ihren Bedarf und die Lösungen dafür definieren müssen. Zudem beruhe die Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors auf einer gemeinsamen Strategie der Partner und setze voraus, dass die öffentlichen Auftraggeber ihre Anstrengungen zur Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen bündeln.

Im Gegensatz dazu handelt es sich dem EuGH zufolge bei einer ausschließlich gegen Entgelt erbrachten Leistung um einen (vergabepflichtigen) öffentlichen Auftrag, der gerade nicht unter Art. 12 Abs. 4 der EU-Vergaberichtlinie falle.

ÖrE, die beabsichtigen, andere örE ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens mit der Durchführung von Teilleistungen der Abfallentsorgung zu beauftragen, müssen folglich ein Augenmerk darauf haben, dass ihre Zusammenarbeit tatsächlich einen kooperativen Charakter aufweist. „Leistung gegen Entgelt“ oder – wie im Fall – die Rücknahme des behandelten Restabfalls zur weiteren Entsorgung reichen dem EuGH zufolge nicht für eine echte Zusammenarbeit aus.

Bestehende Zweckvereinbarungen, welche die vorbezeichneten Voraussetzungen nicht erfüllen, können – wenn der Vertragsschluss bereits sechs Monate zurückliegt – jedenfalls nicht mehr im Wege der Nachprüfung angegriffen werden. Da es der Europäischen Kommission bei Kenntnis einer vergaberechtswidrigen Zweckvereinbarung aber unbenommen bleibt, rechtliche Schritte zu ergreifen, sollten örE zumindest bei der nächsten Anpassung ihrer Zweckvereinbarungen sicherstellen, dass interkommunale Zusammenarbeit tatsächlich von einem kooperativen Charakter geprägt ist.

In diesem Zusammenhang lohnt es sich übrigens auch zu prüfen, ob etwaige entgeltliche Leistungsbeziehungen in Zweckvereinbarungen der Umsatzsteuerpflicht nach § 2b UStG unterfallen. Nach derzeitigem Sachstand ist zwar davon auszugehen, dass der Bundestag in diesem Jahr eine Verlängerung der Übergangsfrist (betreffend die Anwendung des § 2b UStG gemäß § 27 Abs. 22 UStG) um weitere zwei Jahre, d.h. bis zum 31.12.2022 beschließen wird. Gleichwohl sollte die Entwicklung der Anwendung des § 2b UStG genau im Auge behalten und umsatzsteuerliche Zweifelsfragen durch Einholung verbindlicher Auskünfte beim Finanzamt geklärt werden.